Das letzte Saisonspiel in der Pokalrunde beim ehemaligen Bundesligisten Wilhelmshavener HV (20. Mai) steht zwar noch aus, doch die Partie ist nur noch die Abschlusskür einer Saison, die selbst die größten Optimisten so nicht erwartet hätten. Mit dem Ziel Klassenerhalt gestartet, steigerte sich die blutjunge Mannschaft der Barbarossastädter von Spiel zu Spiel und bot ihren Fans trotz gewaltigem Verletzungspech begeisternden Handballsport. Am Ende sprang die nie erwartete Qualifikation zur Hauptrunde im DHB-Pokal heraus. Ein wichtiger Faktor für den größten Erfolg in der jüngeren Vereinsgeschichte des TVG ist Cheftrainer Matthias Geiger. Im Interview blickt der Coach auf diese außergewöhnliche Saison zurück und wagt natürlich auch einen Ausblick auf die kommende Spielzeit.
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Matthias, die Saison ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber der TV Gelnhausen hat alle Ziele bereits erreicht, ja bei weitem sogar übertroffen. Wie geht es dir?
Mir geht es gut. Auch wenn man aus Niederlagen viel lernen kann, ist natürlich so eine erfolgreiche Saison, in der so viel erreicht wurde, und vor allem in der bei den Spielern so viel Entwicklung zu erkennen war für einen Trainer immer eine tolle Sache.
Der TV Gelnhausen hat eine beeindruckende Saison gespielt und den dem dritten Platz in der Süd-West-Staffel der 3. Liga und der vorzeitigen Qualifikation für die Hauptrunde am DHB-Pokal den größten Erfolg in der jüngeren Vereinsgeschichte herausgespielt. Habt ihr das schon realisieren können?
Im Sport ist es leider so, dass man sich auf Erfolgen nicht lange ausruhen kann. Daher richten sich die Gedanken bereits wieder nach vorne. Die vergangene Saison war toll, zumal bei dieser jungen Mannschaft und vielen verletzten Spielern einige unkalkulierbare Variablen zusammenkamen. Aber letztlich hat viel zusammengepasst und die Jungs haben gespürt, dass sich die Arbeit auszahlt. Das müssen sie nun für sich konservieren und gierig darauf bleiben, sich weiterentwickeln zu wollen, um zukünftig weitere Erfolge feiern zu dürfen.
Die letzten Siege gegen absolute Top-Teams wie Wilhelmshaven und dem Longericher SC waren beeindruckend. Und das mit einer der jüngsten Mannschaften aller Drittligisten. Wie ist so eine Entwicklung zu erklären?
Man steht nicht morgens auf und gewinnt einfach mal so gegen Top-Mannschaften. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten Jahren stetig vorangeschritten ist. Wir mussten in den vergangenen Jahren einige Rückschläge und Niederlagen einstecken. Eine Stärke der Mannschaft ist ganz sicher, dass sie aus Niederlagen viele Rückschlüsse ziehen kann und im Training anschließend hart arbeitet, um diese Erfahrungen für sich zu nutzen. Je mehr Aufgaben das Team gestellt bekommt, desto reifer und besser wird es. Das ist ein stetiger Prozess über Jahre und es ist noch jede Menge Potenzial da. Dass wir jetzt schon gegen Top-Teams bestehen können, ist eine tolle Sache und sollte uns jede Menge Motivation für die Vorbereitung auf die nächste Runde geben.
Auffällig war die enorme Nervenstärke der Mannschaft. Immer, wenn es darauf ankam, hatten die Spieler eine passende Antwort parat. Das ist schon ausgewöhnlich für so eine junge Truppe oder kann man das trainieren?
Reife kann man nicht mit Fingerschnipsen erzeugen. Man braucht Situationen. Im Training kann man die Spieler immer wieder vor neue Aufgaben stellen, aber das Wichtigste sind die Spiele. In der vorletzten Saison sind wir mit einigen Niederlagen gestartet. In der letzten Saison haben wir mal gewonnen, mal verloren. Dabei waren die Niederlagen stets sehr knapp. Anschließend haben wir in der Analyse gemerkt, dass nicht mehr viel fehlt. Hier ein Fehler weniger, da eine andere Entscheidung. In dieser Saison hat es dann geklappt und wir haben einen Start mit vier Siegen hingelegt. Das ist das tolle an einer jungen Mannschaft, die sich in einem strukturierten Umfeld befindet. Sie kann wachsen. Das heißt aber nicht automatisch, dass das in der kommenden Saison genauso läuft. Die Bedingungen ändern sich. Wir wollen den Jungs den besten Rahmen bieten, um in kritischen Situationen die besten Lösungen parat zu haben.
Der Erfolg des TV Gelnhausen ist umso bemerkenswerter, weil immer wieder viele Spieler verletzungsbedingt ausgefallen waren. Wie ist es euch gelungen, diesen langanhaltenden personellen Engpass zu kompensieren?
Verletzungen gehören in unseren Kontaktsport dazu. Aber es ist natürlich nicht einfach mit einem so großen Verletzungspech umzugehen. Zum Glück haben wir einen breiten Kader und die Jungs haben das nicht als Problem, sondern als Herausforderung angenommen, sind zusammengerückt und haben sich eine Lösung überlegt. Das zeigt auch den tollen Charakter dieser Mannschaft. Nur so konnten wir tatsächlich die Ausfälle kompensieren. Aber wir arbeiten auch daran, das Verletzungsrisiko zu minimieren. Dazu haben wir mit Claudine Leuchter, der Praxis MainKörper360 mit Thomas Stubner und Michael Ritzel eine überragende medizinische und physiotherapeutische Unterstützung.
Beim Spiel gegen die HG Saarlouis im Rahmen der Nacht der Legenden hat fast die halbe Mannschaft aufgrund von Verletzungen gefehlt. Hand aufs Herz: Hattest du die Befürchtung, dass es ausgerechnet bei diesem Vereins-Highlight eine saftige Niederlage setzt?
Natürlich haben wir eine gewisse Erwartungshaltung an diesem Tag gespürt. Wir haben ja zuvor alle die Vorbereitungen mitbekommen, die seit Wochen gelaufen sind. Allerdings wenn ein Spieler verletzt ist, ist er verletzt. Das kann man nicht ändern. Aber auch dieses Spiel spiegelt den Charakter der Jungs wider. Die Übriggebliebenen haben alles reingeschmissen, was sie hatten und ein tolles Spiel in einem tollen Rahmen vor den Legenden und vor ausverkaufter Halle abgeliefert. Es war insgesamt ein tolles Erlebnis und aus Trainersicht beeindruckend, wie die Mannschaft mit dieser Situation umgegangen ist.
Mit Sergej Budanow hast du einen sehr erfahrenen Mann im Training und bei den Spielen an deiner Seite. Wie sind die Rollen verteilt und wie wichtig ist er für dich als Trainer in einer täglichen Arbeit?
Mit Sergej Budanow arbeite ich seit vielen Jahren sehr vertrauensvoll zusammen, auch schon früher als ich Trainer des Juniorenteams war. Es ist für mich eine immense Unterstützung, einen so erfahrenen Mann an der Seite zu haben, der meinen Blick über den Tellerrand als Trainer immer wieder erweitert. Das ist Gold wert. Mit seiner Erfahrung als Spieler und Trainer auf allerhöchstem Niveau ist Sergej ein ganz wichtiger Teil der Mannschaft. Zumal er ja als Headcoach auch für die zweite und dritte Mannschaft sowie für die A-Jugend tätig ist und auch mit anderen Trainern sehr viel im Hintergrund arbeitet und sie unterstützt.
Ein Trainer hebt ungern einzelne Spieler hervor. Aber kannst du uns vielleicht doch den einen oder anderen nennen, der dich in seiner Entwicklung besonders positiv überrascht hat?
Das ist wirklich eine schwierige Frage, weil in diesem jungen Team bei nahezu allen Spielern eine große Entwicklung stattgefunden hat. Da könnte ich fast jeden aufzählen. Aber, um mal einen zu nennen: Silas Altwein. Er war ebenso wie Yannik Geisler in der vergangenen Saison Leistungsträger in unserem Juniorenteam und zum Schnuppern im Drittligakader dabei. Aber er hat die Saison-Vorbereitung sehr gut genutzt und war plötzlich nicht mehr wegzudenken aus unserem Spiel. Ebenso hat sich Nils Bergau in dieser Saison zum Abwehrchef entwickelt. Leider beendet er seine Karriere. Aber ähnlich tolle Entwicklungsschritte gibt es bei den anderen Jungs auch zu sehen.
Als Coach hat man ja immer noch mal einen ganz eigenen Blick auf ein Spiel. Welches war für dich das beste Spiel der Saison und warum?
Auch hier ist es schwierig ein Spiel herauszupicken. Aber das Spiel in Dansenberg war schon besonders. Wir hatten bereits einen dünnen Kader, aber konnten bei so einer erfahrenen Spitzenmannschaft trotzdem gewinnen. Hieraus hat die Mannschaft ein Selbstbewusstsein und einen Glauben entwickelt, dass sie trotz einiger Ausfälle gegen solche Teams bestehen kann, der sie anschließend durch die gesamte Saison begleitet hat.
Mit Nils Bergau und Paul Hüttmann verlassen zwei Spieler den TV Gelnhausen, die in den letzten Jahren wichtige Stützen der Mannschaft waren. Wie wollt ihr die beiden ersetzen?
Leider ist es im Sport so, dass wir nicht zehn Jahre mit der gleichen Mannschaft zusammenspielen können, weil immer wieder private oder sportliche Situationen Einfluss nehmen und sich Dinge im Leben ändern. Dann muss man den Kader wieder neu sortieren. Gerade Nils, der in dieser Runde die Rolle als Abwehrchef voll angenommen hat, wird schwer zu ersetzen sein. Auch Paul war ein tolles Mitglied der Mannschaft und hat seine Sache vorbildlich erledigt. Wir werden die beiden nicht ersetzen können, aber hoffen natürlich, dass wir ihren Weggang kompensieren können und uns als Mannschaft weiterentwickeln.
Die Fans unterstützen die Mannschaft und man hat das Gefühl sie verzeihen diesem jungen Team auch mal eine Schwächephase. Du hast schon selbst viele Situationen auch als Spieler in der Hölle Süd erlebt. Würdest du sagen, dass da eine besondere Beziehung heranwächst?
Die Fans sind ein ganz wichtiger Bestandteil des Handballs in Gelnhausen. Wir sind froh, dass nach der Coronapause die Halle immer voller wird. Was die Fans in dieser Saison abgeliefert haben, ist schon Wahnsinn. Gerade in den letzten Spielen hat man gesehen, wie sehr sie die Mannschaft beflügeln können. Es ist auch schön zu sehen, dass die Leistung der Mannschaft von den Zuschauern honoriert wird. Vor ein paar Jahren konnte man noch eine gewisse Zurückhaltung spüren. Und auch bei Niederlagen ist die Unterstützung für die Mannschaft jetzt trotzdem groß. Das ist gerade für die ganz jungen Spieler, die das noch nicht so kennen, umso schöner. Wir haben schon ein tolles Publikum in Gelnhausen. Das ist etwas Besonderes. Ich denke die Fans spüren auch, dass die Jungs hart arbeiten und alles dafür geben, um begeisternden Handball zu spielen.
Die Mannschaft hat einen Altersdurchschnitt von knapp 22 Jahren und steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Was glaubst du ist im nächsten Jahr drin und wie plant ihr mittelfristig?
Wir haben jetzt einen sehr guten Kern und wollen die Mannschaft drumherum aufbauen und weiterentwickeln. Wir haben alle gesehen, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt. Dennoch haben wir einige Spiele in dieser Saison auch verloren. D.h. wir haben noch viel Arbeit vor uns. In der kommenden Saison wird alles wieder auf null gestellt und wir müssen uns neu beweisen. Wir werden im sportlichen Bereich unsere Entwicklung vorantreiben, der Verein stellt sich aktuell organisatorisch besser auf und alle Beteiligten gehen in die gleiche Richtung. Da wächst also etwas heran. Wir wollen in den nächsten Jahren attraktiven Handball bieten. Wohin das Ganze am Ende führt, werden wir sehen. Wir sollten eine Perspektive nach oben jedenfalls offenhalten.